Kurzgeschichte Kurzgeschichten von Madrabour

Padriac (Teil 1) - Das Erwachen


Das erste was mein Bewusstsein durchschimmert ist Sonnenlicht, das durch ein grünes Blätterdach fällt. Ich schliesse meine Augen und öffne sie erneut. Langsam bilden sich neue Gedanken. Durch die Bäume sehe ich kleine blaue Fetzen. Wolkenfetzen. Ich schaue nach oben. Ich schaue auf dem Rücken liegend nach oben. Ich erschauere, als mich ein Windhauch überstreicht. Ich spüre ihn am ganzen Körper. Am ganzen Körper? Bin ich nackt? Langsam richte ich mich auf. Tatsächlich, ich trage keine Kleidung. Ich spüre feuchte Kühle. Tau. Das Gras auf der Lichtung, auf der ich mich offensichtlich befinde, ist noch feucht vom Morgentau. Wo bin ich? Noch wichtiger: Wer bin ich? WER bin ich? Bei dem Versuch, mich daran zu erinnern wird mir schwarz vor Augen. Langsam sinke ich zurück. Schlaf...

Hochschrecken! Ich öffne die Augen. Sterne. Sternenhimmel. Nacht. Ich befinde mich nicht mehr auf der baumbestandenen Lichtung, sonst könnte ich den Sternenhimmel nicht sehen. Erneut richte ich mich langsam auf. Weit kann ich nicht sehen, doch es sind keine Bäume in Sichtweite. Ich drehe meinen Kopf nach rechts. Da... eine dunkle Wand... Bäume..der Waldrand. Wie bin ich aus dem Wald hierhergekommen? Kopfdrehung nach links. Weit am Horizont ... Lichter. Lichter? Wo Lichter sind, sind menschliche Wesen. Langsam erhebe ich mich. Nur am Rande bemerke ich, das ich noch immer keine Kleidung trage. Ich versuche, eine Schritt zu machen. Meine Beine gehorchen! Vorsichtig beginne ich, auf Lichtpunkte zu zu gehen. Eine Frage drängt sich in mein Denken. Wer bin ich? Ich spüre nasse Füsse. Wasser? Wo bin ich? Wer bin ich? Alles erlischt und ich falle. Das letzte, was ich wahrnehme, ist Wasser am ganzen Körper.

Erneutes Erwachen. Diesmal ein langsamer Übergang vom Schlaf zum Wachsein. Immer noch ist es Nacht. Ich richte mich auf. Ich schaue... auf Wasser. Ich sehe mich um. Ringsum ist Wasser. Ich sitze auf eine kleinen Insel. Grade mal gross genug, um einen liegenden Menschen aufzunehmen. Einen Menschen? Bin ich ein Mensch? Meine Aufmerksamkeit richtet sich wieder auf das Wasser. Ich vermeine entfernt in der Dunkelheit ein Ufer zu sehen. Und da! Ich sehe wieder die Lichtpunkte (sind es die gleichen?), diesmal größer. Näher! Ich stehe auf und beginne ins Wasser zu laufen. Reflexartig beginnen sich Arme und Beine zu bewegen. Schwimmen? Ich kann schwimmen! Ich vermeine eine Bewegung zu sehen... am Himmel. Ich erhebe meinen Kopf und sehe... helles Licht. Geblendet senke ich den Blick und warte, bis sich die Augen an die Helligkeit gewöhnt haben. Erneut erhebt sich mein Blick und sieht eine Wolke, welche langsam von der Lichtquelle weg treibt. Gebadet im Licht schwimme ich weiter auf das vor mir liegende Ufer zu. Gebadet im... Mondschein!

Meine Kräfte schwinden, doch das rettende Ufer ist nicht mehr fern. Doch während ich schwimme, regen sich erneut Gedanken in mir. Wo bin ich? WER bin ich? Keine Antworten... Plötzlich wird es dunkler. Eine Wolke schiebt sich vor den Mond. Ich schwimme plötzlich im Schatten und ein seltsames Gefühl von Sicherheit keimt auf... Schatten. Doch nur kurz, die Wolke gibt den Mond wieder frei. Und da sehe ich es! Unweit des Ufers ein hoher Turm. Ein Hauch einer Erinnerung streift mich. Dieser Turm, so groß! In meiner Erinnerung erscheint er mir kleiner. Doch das Bild der Vergangenheit verblasst. Ich versuche es festzuhalten, doch es gelingt mir nicht. Stattdessen drängt sich mir ein anderer Gedanke auf: Die Bäume, die ich in meinen Wachmomenten sah. Waren auch sie größer als andere mir bekannte? Die Gedanken führen wieder auf den wichtigsten von allen: Wer bin ich? Sand! Meine Hände spüren Sand. Das Ufer ist erreicht! Erschöpft bewege ich mich auf das nah am Ufer stehende Gras und setze mich, lege mich nieder. Das letzt was ich sehe, bevor ich die müden Augen schliesse ist eine im Mondlicht stehende Gestalt.

Eingehüllt in Wärme. Ein unbekannter, angenehmer Duft dringt in meine Nase. Ich öffne meine Augen. Eine Stimme: "Ah, unserer junger Kelte ist aufgewacht! Guten Morgen!" Ich sehe eine riesige Gestalt neben mir stehen. "Wer seid ihr?" frage ich. Und gleich darauf "Und wieso nennt ihr mich Kelte? Kennt ihr mich?" "Nun, du kannst mich Grada nennen. Und ich sage Kelte, weil du ein Kelte bist. Etwas klein geraten vielleicht, aber Kelte bleibt Kelte." Hunderte von Fragen gehen mir durch den Kopf. Doch ehe ich etwas fragen kann, beginnt Grada wieder zu sprechen: "Und nun würde ich gerne erfahren, wen ich da aus dem See gefischt habe!" "Das wüsste ich selbst gerne!" antworte ich. "Ich kann mich weder an einen Namen erinnern, noch weiss ich, woher ich komme. Irgendwann bin ich auf einer Lichtung aufgewacht. An Lichter kann ich mich erinnern, an Wasser und an Mondlicht. Und das ich plötzlich einen Firbolg im Mondlich sah." Ein Firbolg! Ein erneuter Erinnerungsblitz! Er ist ein Firbolg, ich bin ein Kelte. Und wieder habe ich das Gefühl, geschrumpft zu sein. Irgendwie habe ich die Kelten und auch die Firbolg kleiner in Erinnerung. Ein weiterer Gedanke keimt auf: vielleicht bin ich selbst kleiner geworden... Firbolg... wie vertraut das klingt!

Als Grada erneut zu sprechen beginnt, schrecke ich aus meinen Gedanken hoch. "Nun, wen du dich an nichts erinnern kannst, so will versuchen, ein wenig zu helfen. Also das du ein Kelte bist, hast du inzwischen wohl auch selbst erkannt. Nach allem, was du im Schlaf vor dich hingemurmelt hast, bist du offensichtlich auf die Idee gekommen, etwas im See zu schwimmen. Wo du in den See gestiegen bist, kann ich natürlich nicht wissen. Aber du musst eine weite Strecke zurückgelegt haben, denn als ich dich am Ufer fand, warst du halb tot. Vielmehr kann ich auch nicht sagen, nur eins noch, etwas wichtiges: Obwohl ich als Druide den Weg der Natur gefolgt bin, so spüre ich in dir eher den Weg der Nacht. Auch wenn du mit dieser Information jetzt vielleicht noch nichts anfangen kannst, solltest du sie dir gut merken. So, jetzt solltest Du erstmal das hier trinken und danach noch etwas schlafen, um etwas zu kräften zu kommen. Ich verlasse dich eine Weile, um mich ein wenig umzuhören. Vielleicht finde ich ja noch etwas über dich heraus." Grada reicht mir einen töneren Becher mit eine heissen Flüssigkeit. Sie riecht leicht süsslich, aber als ich koste ist der Geschmack eher herb, aber nicht unangenehm. Erst jetzt nehme ich die Hütte des Druiden wahr, in welcher ich mich befinde. Nahe bei meiner Liegestatt (auf der wohl sonst der Firbolg schläft) steht ein Tisch mit zwei Stühlen. Auf der einen Seite des einzigen Raumes befindet sich ein Regal vollgestopft mit Kräutern, Büchern und noch allerhand anderen Kram. Auf der anderen Seite eine Feuerstelle. Ausserdem gibt es nur noch ein Fenster und eine Tür, durch welche der Druide nun nochmal hereinkommt und fragt "Ist dir dein Name inzwischen eingefallen?" "Nein." antworte ich leise. "Nun, so werde ich dich derweil Padriac nennen!"

Der Trank des Druiden lässt mich in einen wohligen Schlaf fallen. Und ich beginne zu Träumen. Ich schwimme wieder im Mondlicht durch den See. Wieder nähere ich mich dem Ufer. Ich steige langsam aus dem Wasser und drehe mich um zum Mond, der hoch am Himmel steht. Als ich mich wieder dem Ufer zu wende, sehe ich wieder den Firbolg stehn. Nein, es ist nicht der gleiche, es ist nicht der Druide. Dieser Firbolg sieht anders aus. Er kommt mir seltsam bekannt vor. Im Mondschein stehend hebt er die Hand und winkt mir lächelnd zu. Ich versuche, mich ihm zu nähern. Doch egal, wieviele Schritte ich auch mache, die Entfernung bleibt gleich. Ich versuche zu rufen, doch kein Ton kommt über meine Lippen. Ich bleibe stehn. Immer noch lächelnd beginnt der Firbolg, mit dem Kopf zu schütteln. Dann dreht er sich langsam um und geht. Ich versuche nochmal zu rufen, doch wieder bleibe ich stumm. Und im Mondlicht sehe ich, was der Firbolg auf dem Rücken trägt. Als ich in diesem Augenblick erwache, kann ich mich an den Traum erinnern. Und als ich kurz darauf wieder einschlafe bin ich mir seltsamerweise sicher, dass ich diesen Traum nicht vergessen werde. Und ich werde nicht vergessen, was der Firbolg trug: Es war eine Laute.

Etwas kitzelt meine Nase. Verschlafen öffne ich die Augen. Ein Sonnenstrahl fällt durch das Fenster genau auf meine Nasenspitze. Langsam richte ich mich auf. Der Druide ist nicht in der Hütte. Ich denke an den Traum der letzten Nacht. Tatsächlich kann ich mich an jede Einzelheit erinnern. Aus einem mir unbekannten Grund wird mir immer leichter, je mehr ich über den Traum nachdenke. Ich bin mir sicher, das mit diesem Traum irgendetwas abgeschlossen ist. Ich bin mir sicher, das dieser Traum eine wichtige Bedeutung für mich hat, das er etwas mit meiner Vergangenheit zu tun hat. Aber ich bin mir ebenso sicher, dass das Lüften dieses Geheimnisses Zeit hat. Vielleicht fallen mir nach und nach weitere Einzelheiten über mich ein, vielleicht auch nicht. Und ich beschliesse für mich, mir inzwischen eine neue Vergangenheit zu schaffen.

Mit einem freundlichen "Guten Morgen, Padriac!" betritt der Druide die Hütte. Ohne auf eine Antwort zu warten fährt er fort "Ich hab mich wie versprochen ein wenig umgehört, allerdings ohne grossen Erfolg. Was deine Vergangenheit angeht, wirst du wohl selbst forschen müssen. Ich habe hier ein paar Sachen für dich und eine.. ähem... Waffe." Die Kleidung besteht aus einem Hemd in derbem Leinen und einer Hose aus dem gleichen Material. Die 'Waffe' ist ein fast stumpfer Katzbalger, welche wohl eigentlich nur zu Trainingszwecken zu gebrauchen ist. Und doch fühle ich mich das erste mal seit meinem Erwachen auf der Waldlichtung richtig munter. Und die Frage nach dem 'Wer bin ich?' erscheint nicht mehr ganz so wichtig.

Nachdem ich mich angezogen habe meint Grada, dass es nun Zeit zu einem Frühstück sei. Obwohl es nur mit Kräuter belegtes Brot und dazu heisses Wasser (ebenfalls mit Kräutern aromatisiert) gibt, stärkt mich die Mahlzeit doch mehr als gut. Nach einer Weile des Schweigens und Essens fragt mich der Firbolg, ob ich inzwischen Pläne gemacht habe oder ob mir eventuell sogar etwas neues über mich eingefallen sei. Ich verneine erst, doch dann denke ich wieder an meinen Traum und erzähle ihn. Nachdem er kurz darüber nachdenkt, meint der Druide, dass es wohl das beste sei, einen Schritt nach dem anderen zu tun. Vielleicht wäre es am besten, als erstes ein wenig über die eigenen Fähigkeiten herauszufinden. Er hatte ja bereits erwähnt, das ich dem Weg der Nacht folgen solle. Wenn ich seinem Ratschlag folgen will, wäre es am besten von hier nach Howth zu gehen, das sei keine drei Stunden entfernt. Dort könne ich mich an Damhnait wenden.

So bedanke ich mich mehrfach herzlich für Aufnahme, Rat und Geschenke und verspreche, den Druiden gelegentlich zu besuchen und zu berichten. Jetzt, keine halbe Stunde später, befinde ich mich auf dem von Grada beschriebenen Weg. Ich spüre das feuchte Gras zwischen den Zehen und die wärmende Sonne am ganzen Körper. Ich denke an meinen Traum. Werde ich seine Bedeutung ergründen können. Werde ich erfahren, wer der Firbolg mit der Laute im Traum war? Ich denke an die Gespräche mit Grada. Mir fällt auf, das ich den Namen, den mir der Firbolg gab, bereits verinnerlicht habe.

Wieder denke ich 'Wer bin ich?'. Doch diesmal habe ich eine Antwort: 'Ich bin Padriac und ich gehe nach Howth!'

Hier endet mein Erwachen!

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Letze Änderung: 07.05.2020

Zitat der Woche:

Im Übrigen gilt ja hier derjenige, der auf den Schmutz hinweist, für viel gefährlicher als der, der den Schmutz macht.


Kurt Tucholsky
Madrabours Eck
luegipedia.de Radebeul - Zitzschewig Madrabours Kurzgeschichten II